Doppelt fassungslos

Ich bin schockiert, entsetzt und fassungslos: Da passiert ein mutmaßlich rechtsextremer Angriff auf eine Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung in Mönchengladbach. Und kaum jemand schreit auf. Was ist hier bei uns los???

Wir stellen uns hier folgendes vor: Ich lebe in einer Wohngruppe, als plötzlich nachts ein Ziegelstein auf die Haustür geworfen wird. Und auf dem Ziegelstein steht die menschenverachtende Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung„.

Allein bei dem Gedanken daran läuft es uns kalt den Rücken herunter. Eine Horrorvorstellung. Aber genau das ist in Mönchengladbach passiert. Ein absoluter Schock und einfach unfassbar.  

Normalerweise müsste der Aufschrei riesengroß sein. Bundesweit, weit über Mönchengladbach hinaus. So wie beim Pfingst-Nazigegröle von Sylt. Normalerweise würden alle großen Medien tagelang aus Mönchengladbach berichten. Und normalerweise melden sich alle wichtigen Bundespolitiker zu Wort und verurteilen den entsetzlichen Angriff.

Normalerweise. Aber stattdessen: Nahezu nichts. Es berichten lediglich die regionalen Medien, der Oberbürgermeister von Mönchengladbach ruft zur Solidarität auf. Was sehr gut, richtig und wichtig ist. Aber das war’s. Ende der Durchsage.

Das alles macht mich doppelt fassungs- und sprachlos. Ich frage mich wirklich: Was ist mit unserer Gesellschaft los? Warum interessiert es bundesweit so gut wie niemanden, wenn mutmaßliche Rechtsextreme einen Ziegelstein mit Naziparole auf eine Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung werfen? HALLO DA DRAUSSEN! HALLO!!!

Diese Ignoranz macht mir genauso viel Angst wie die eigentliche Tat. Auch ich werde irgendwann in einer Wohngruppe leben. Dürfen dann Rechtsextreme nahezu unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit Steine auf unsere Türen werfen und sich kaputtlachen, dass das niemanden interessiert???

Wieder mal zeigt sich deutlich, dass wir Menschen mit Behinderung keinerlei Lobby haben, unsichtbar und unerhört sind. Wir erzeugen keine Klicks bei den Medien, also werden wir ignoriert. Keine Klicks heißt: Das interessiert niemanden. So einfach ist das. Und perfide.

Heldenkollektiv

Immer wieder stelle ich hier ja mal echt gute Seiten, Fundstücke oder Empfehlungen vor. Heute ist die echt tolle Vernetzungsplattform Heldenkollektiv dran – eine wunderbare Idee, Familien mit Kindern mit Behinderung sichtbarer zu machen.

Genau daran mangelt es ja oft: Wir sind allzu oft isoliert, ausgegrenzt, unerhört und unsichtbar. Plattformen wie das Heldenkollektiv können helfen und das ändern.

Wie so oft ist auch das Heldenkollektiv aus einer Elterninitiative entstanden. Dass die Idee und die Umsetzung großartig ist, hat sogar eine Fachjury erkannt und das Heldenkollektiv auf die Shortlist des Social Design Awards 2023 (Oberthema: Wir füreinander) des SPIEGEL gesetzt! Respekt!

Ich habe mich jedenfalls auch beim Heldenkollektiv angemeldet. Eine Wundertüte wie ich passt da doch perfekt rein… 😉

Barrieren im Kopf

So kurz vor Weihnachten muss ich hier mal eine Episode loswerden, die so rein gar nichts mit „besinnlicher Weihnachtszeit“ zu tun hat – sondern leider mit weiterhin vorhandenen Barrieren im Kopf… 🙁 .

Am Samstag war ich mit meinem Buddy Christina auf dem Osnabrücker Weihnachtsmarkt unterwegs. Das ist auf der einen Seite mit dem Gedränge und den Kabelbrücken auf dem Kopfsteinpflaster echt „Rolli-herausfordernd“. Auf der anderen Seite ist das für mich auch total spannend, die besondere Atmosphäre zu erleben.

Na klar wollten wir auf dem Weihnachtsmarkt auch was essen – das gehört ja nun mal auch dazu. Beim Essensstand hat Christina dann nach einem zweiten Pappteller gefragt, um das Essen einfacher mit meinem mitgebrachten Essbesteck mundgerecht für mich zuschneiden zu können. Die Antwort: „Wofür brauchen Sie den denn? Einen zweiten Pappteller geben wir aber nicht raus!“ Auch als Christina auf mich zeigte und das erklärte, gab es weiter Unverständnis – und von hinten als I-Tüpfelchen noch die Aussage obendrauf, warum wir den „ganzen Betrieb aufhalten“ würden…

Diese sehr unschöne Episode zeigt sehr anschaulich, woran es in unserer Gesellschaft noch immer hapert. Wir „Unsichtbaren“ sind oftmals immer noch nicht vorgesehen auf solchen Großveranstaltungen wie dem Weihnachtsmarkt. Und wenn Menschen mit Beeinträchtigungen dort sind, stoßen wir genau auf diese Barrieren im Kopf. Das Ergebnis ist dann, dass sich viele ganz bewusst von solchen Veranstaltungen fernhalten.

Ich lasse mich von solchen Erfahrungen aber nicht entmutigen – und stürze mich weiterhin „ins Getümmel“. Denn genau das ist Teilhabe – auch wenn der Weg zu mehr Teilhabe noch sehr lang, steinig und schwierig ist…